Heinz-Dieter Gerstenköper der "Warsteiner"

Kameradschaft



Das Ende der Grundausbildung näherte sich unaufhaltsam. Ich weiß nicht warum, aber ich wollte heute einmal für eine kurze Zeit ohne meine Jungs sein. Ich zog meinen langen grauen Wintermantel an und ging Richtung Panzerstraße, um von der ersten leichten Anhöhe ein letztes Mal auf die Kaserne und auf Hemer zu blicken. Es war bereits dunkel, aber die Kasernenbeleuchtungen strahlten an allen Ecken. Aus dem Dunkel heraus maulte ein Wachposten rum: "Mach lieber, das du ins Bett kommst, in einer Viertelstunde ist Zapfenstreich und dann schießen wir scharf!" Ich rief zurück: "Witzbold, ihr trefft ja sowieso nicht!"   
 
Nach und nach wurde eine Außenbeleuchtung nach der Anderen abgeschaltet. Ich verweilte noch ein bisschen und sah mir das Schauspiel an. Die dunklen Gebäude wuchsen langsam ineinander und das Gesamtgebilde der Kasernenanlage sah aus wie ein riesiges schlafendes Seeungeheuer. Die Blücher-Kaserne lag ruhig, wie festgesaugt in der Landschaft, aber es schien so, als ob dieses kraftvoll wirkende Wesen bereit war, blitzartig loszuschlagen, wenn es gereizt würde. Massive dunkle Steinblöcke mit Hunderten gleichgroßen Fenstern in gleichmäßigen Zweierreihen 1935 aufgestellt für die Unterbringung von Soldaten der deutschen Wehrmacht, die ebenfalls grau in grau gekleidet waren. Für die Planung dieses Objektes hat der Architekt allenfalls ein Lineal und einen Winkelmesser gebraucht. Architektonisch war das absolut keine besondere Herausforderung. Der Komplex hatte sich ausgebreitet und hatte Besitz ergriffen von einem riesigen Stück des wunderschönen Sauerlandes. Zwischen Hemer und Aprike wurde die Landschaft zerstört und unter Asphalt und grauen Betonblöcken begraben. 

Es war ein kühler Donnerstag, so um 3° und vor einer Stunde hatte es noch ein wenig geregnet. Ich zog den Kragen etwas höher, weil es mir leicht fröstelte. Meine Schritte wurden etwas schneller, aber nicht, weil der Zapfenstreich schon um einige Minuten überschritten war, sondern deshalb, weil es inzwischen saukalt war. Im Kompaniegebäude empfing mich eine wohlige Wärme, ich fühlte mich hier schon ein wenig zu Hause. Auf der Stube 216 war es dunkel, meine fünf Kameraden lagen eingerollt in ihren Betten. Ich flüsterte: "Wer, meldet die Stube ab?" Peter Grabs antwortete: "Ist erledigt, habe gesagt, du hättest ansteckenden Durchfall und sitzt auf dem Klo." Günther Eickmann murmelte im Halbschlaf: "Ich dachte, du seist, desertiert!" Auf dem Flur hörte ich noch Unteroffiziersanwärter Anton Zeppenfeld, der von Bude zu Bude ging. Ich kroch schnell in mein Bett aber mit dem Einschlafen wollte es nicht klappen. Vielleicht lag es an der Überdosis frischer Luft, die ich bei meinem Rundgang abbekommen habe.

Ich stand noch einmal auf und schaute aus dem Fenster neben meinem Spind. Man sagte damals: "Die Kaserne schläft nie!" Das war wohl auch so. Irgendwo, irgendwann hatte irgendeiner immer etwas zu erledigen und wenn es nur der Toilettengang war. Auch in dieser Nacht brannten hinter einigen Zimmerfenstern gedämpfte Lampen. Das waren in der Regel die Zapfenstreichheimkehrer, die noch schnell einen Happen aus ihrem Speisefach aßen und die letzten Reste aus den Bier- und Schnapsflaschen tranken. Sie gingen natürlich nicht in die Betten, ohne noch ein bisschen anzugeben, damit, dass sie beispielsweise endlich die Bedienung vom Lindenwirt herumgekriegt hatten. Da war meist der Wunsch der Vater des Gedankens. Selbst wenn es so war, genießen und schweigen wäre angebrachter gewesen. Ich mochte solche Quatschköpfe nicht.

In den Wachstuben brannte immer Licht. Der Wachhabende (UVD) lag meist auf dem Bett hinter der Spindwand und pennte, während der Gefreite vom Dienst (GVD) die Urlaubsscheine kontrollierte. Im Gebäude der Ausbildungskompanie 3/7 gab es nach Zapfenstreich kaum noch Bewegungen. Mein spätes Erscheinen hatte meine Kameraden noch zu einer kurzen Diskussion angeregt. Sie redeten anfangs noch halbwegs verständlich miteinander aber so nach und nach ging alles in unverständliches Gemurmel über. Wenn jemand im Halbschlaf fragte: "Was, hast du gesagt?" Dann war endlich Schluss. Der Gefragte war längs hinüber in seiner Traumwelt und der Fragende wollte die Antwort gar nicht mehr wissen. 

Ab jetzt konnte ich meinen Gedanken freien Lauf lassen. Ich war jetzt quasi für mich alleine und machte mir Gedanken über das Militär im Allgemeinen. Beim Kaiser hieß der Verein Reichswehr unter den Nazis Wehrmacht und nun Bundeswehr. Alle wollten damit zum Ausdruck bringen, wir sind die Guten, wir wehren uns nur, dann wenn man uns angreift. Das ist schon zweimal richtig schief gegangen. Nach dem Attentat von Sarajevo auf den österreichisch-ungarischen Thronfolger Franz Ferdinand und seiner Frau durch einen nationalistischen Serben am 28. Juni 1914 war dies der Auslöser für den Ersten Weltkrieg. Eine gute Gelegenheit, den Angriffskrieg als Vergeltungsschlag zu tarnen und auf die Weise die ungeliebten Nationalsozialisten für immer auszuschalten. 9.442.000 tote Soldaten und Zivilisten für das Leben des Thronfolgers und seiner Frau. Ich nahm mir vor, morgen mit den Jungs darüber zu sprechen. Leo wird wieder sagen: „Da habe ich keine Ahnung von!“ 

Mir fiel unser erster Tag ein, als wir in dieser Stube noch unbeholfen aufeinander zugingen. Keiner traute sich so richtig, den anderen anzusprechen. Jetzt, nach beinahe 3 Monaten, war da etwas Unbeschreibliches gewachsen. Im Zivilleben gibt es dafür kein Wort, aber bei den Soldaten nennt man das Kameradschaft und wird sogar per Soldatengesetz verordnet: 

§ 12 SG Kameradschaft: Der Zusammenhalt der Bundeswehr beruht wesentlich auf Kameradschaft. Sie verpflichtet alle Soldaten, die Würde, die Ehre und die Rechte des Kameraden zu achten und ihm in Not und Gefahr beizustehen. 

Als, wenn das so einfach wäre. Kameradschaft lässt sich nicht verordnen. Kameradschaft fühlt man meist dann, wenn es Situationen gibt, in denen man das eigene ich zum Wohle der Gemeinschaft in den Hintergrund stellt. Ich habe daraus gelernt, dass man sich selbst nicht so wichtig nehmen sollte. Dass wir uns in der kleinen Gruppe so hervorragend verstanden, war nicht selbstverständlich. Es gab Gruppen, da flogen sehr oft die Fetzen. Drei Stuben weiter fand in dieser Woche eine wüsste Schlägerei statt. Am Ende war nicht herauszubekommen, wer eigentlich wen geschlagen hatte und warum. Die Bestrafung folgte auf dem Fuße, die Jungs hatten sich ihr Weihnachtsfest zu Hause versaut. Sie mussten allesamt über die Feiertage Wache schieben.

Mit diesen Typen, die hier in unserer gemeinsamen Stube in ihren Betten lagen, hatte ich das große Los gezogen. Ich schmunzelte bei dem Gedanken, dass sie inzwischen abgesackt waren in ihre eigene Traumwelt. Wovon träumt Leo wohl? Vielleicht hat eine seiner Brieftauben den ersten Preis geholt? Oder der immer verliebte Günther, eventuell von dem letzten Abend mit seiner Hildegard? Egal wie schön die Träume auch waren, morgen früh müssen sie alle wieder raus, den Tageszähler auf null stellen und dann sehen, was der Tag so bringt. So wie an unseren ersten Tagen konnten uns die Schreihälse nicht mehr überraschen. Wir hatten Mittel und Wege gefunden, wie wir ohne große Anstrengung den Tag hinter uns bringen konnten. Zum Ersten waren wir beinahe schon perfekte Soldaten und zum zweiten kannten wir ihre Tricks schon durch und durch.

Mein Traum....

Langsam setzte auch bei mir die Müdigkeit ein. Ich konnte mich nicht dagegen wehren, innerhalb weniger Minuten war ich wohl im Tiefschlaf. Aufgeschreckt wurde ich von Zeppenfelds Trillerpfeife und seinem Gebrüll: "Kompanie aufstehen!" Einige Minuten hatten wir noch, bis er an unserer Stube ankommt. Ich saß etwas benommen auf meiner Bettkante und versuchte, mich an meinen Traum zu erinnern. Das klappte in jungen Jahren noch hervorragend. Obwohl ich heute auch noch häufig träume, kann ich mich aber nur schemenhaft daran erinnern was ich geträumt hatte.

OOO Also ich hatte geträumt, das ich 1961 zum Ende unserer Grundausbildung mit Werner Döring in der Kantine zum Mittagessen war. Es gab mein Leibgericht, Gulasch mit Nudeln. Darauf hatte ich mich schon die ganze Woche gefreut. Wir konnten den Nachmittag langsam angehen. Für heute standen nur einige Belehrungen auf dem Dienstplan und 30 Minuten Unterricht mit StUffz. Heinrichs über den Staatsbürger in Uniform. Werner erzählte von zu Hause. War nicht so spannend, ich fühlte, dass er wohl etwas Heimweh hatte. Er war zufrieden, dass ihm jemand zuhörte. Zunächst sprach er von seinen Eltern, den beiden Geschwistern und dann von seiner langjährigen Freundin. Ich kannte das alles schon aber ließ es mich nicht anmerken. Mit der einen der rechten Hälfte meines Gehirns hörte ich Werner zu und nahm die wichtigsten Eckpunkte auf, um hin und wieder ein: "Ja, da hast du recht." Oder "Das ist ja unglaublich!" Von mir zu geben. Mit der linken Hälfte meines Gehirns, die bekanntlich für analytische Denkprozesse aufnahmefähig ist, grübelte ich darüber nach, wie denn wohl so ein Unteroffiziersgehirn aufgebaut ist.

Werner hatte sich alles, was ihn bedrückte, von der Seele geredet und sah mich mit auffordernder Gestik an, nun etwas von meinem Zuhause zu erzählen. Er fragte: "Wie, ist es denn so bei dir zu Hause?" Darüber wollte ich jetzt nicht reden, ich hatte mich gedanklich festgebissen. Ich schaute ihn an und sagte: "Du Werner, weißt du, woran ich jetzt denke?" Er verdrehte die Augen und fragte: "Woher, soll ich das denn wissen, woran du jetzt denkst?"

"Werner, ich denke gerade darüber nach, wie wohl so ein Unteroffiziersgehirn aufgebaut ist und wie es sich so entwickelt hat" Er sah mich mitleidig an und fragte: "Was hast du denn für Schmerzen?" Ich ließ nicht locker: "Es, ist doch so, ein Kapo kommt ja nicht gleich als Kapo auf die Welt, der ist doch erst einmal normal, so wie Du und ich, oder vielleicht nicht ganz so, aber erst einmal unauffällig!" In dieser Hinsicht stimmte er mir zu. "Das wäre ja ein Ding, wenn man einem Neugeborenen ansehen würde, ob er sich zum Kapo oder Lokomotivführer entwickelt." Ob er wollte oder nicht, Werner musste sich jetzt meine Theorie anhören.

Ich philosphierte weiter. Das Verhalten unserer Kapos bestärkte mich in dem Glauben, dass bereits die Eltern eines späteren Kapos wahrscheinlich über weniger Gehirnmasse verfügten, als ein Durchschnittsdeutscher. Aber das war nur eine reine Vermutung von mir. Ich ging davon aus, das sobald ein Zivilist den Entschluss gefasst hatte, sich freiwillig beim Militär zu verpflichten, um einmal Kapo zu werden, stellte sich spontan die rechte Gehirnhälfte, erschrocken über diese absurde Idee, jegliches Wachstum ein, erstarrte in der Nullphase und entwickelte sich nicht mehr weiter. In diesem Zustand warteten die Gehirnzellen regungslos auf den ersten Tag des Unteroffizierslehrgangs in Hammelburg. Beim ersten Schritt durch das Haupttor der Kaserne, begann ein unaufhaltsamer Zersetzungs- und Umwandlungsprozess. Die betroffene Gehirnhälfte wurde kleiner und kleiner, aber auch sehr viel härter. Die Nervenbahnen verloren jegliche Konsestenz und verdrahteten sich zu drei Phasenkabel. Nun arbeiteten sie wie eine sehr einfache elektronische Steuerung. Diese Hardware war nur in der Lage, einfache Vorgänge zu verarbeiten, damit auch ein Uffz damit umgehen konnte. Während die rechte Gehirnhälfte dafür sorgte, dass ein Kapos einigermaßen geradeaus gehen, und sich an die Einnahme der täglichen Malzeiten erinnern konnt, diente der neue Schaltkreis der Unterstützung des s.g. Schikane-Gehirns. Dies war ausschließlich dazu da, sich die Anzahl der erlernten Misshandlungen von Untergebenen zu merken. Aufgrund der geringen Speicher- und Verarbeitungskapazität leider nur in der Reihenfolge von 1 bis 104. Genauer gesagt, 1 = waren beispielsweise "10 Kalte" (Kniebeugen) oder 14 = "Vögeln Sie das Mauseloch, bis ich Halt sage" (Liegestützen). Es war aber nicht so, dass jeder Kapo morgens mit 10 Kalten begann, nein, das war von Kapo zu Kapo total unterschiedlich, jeder hatte seine eigene Reihenfolge programmiert, von der er nicht abweichen konnte. 

An den Blicken von Werner war nicht zu erkennen, was er im Moment gerade dachte, aber ich meinte, es wäre eine gewisse Hochachtung mir gegenüber zu erkennen gewesen. Seine Worte liefen jedoch in eine andere Richtung. Seit einer gewissen Zeit hatte er den Mund geöffnet, als ob er gerade das siebte Weltwunder gesehen hätte, und er fragte mich: "Bist du blöde?" Ich verneinte dies und erklärte weiter.

"Werner, du weißt es selbst, tagsüber sind die Kapos eine ungenießbare Spezies aber abends saufen sie alles, was mit Gewalt hereingeht. Wenn du dann auf so einen benebelte Kapo triffst, bist du immer sein bester Freund. Sie umarmen dich und lallen dir lauter Blödsinn ins Ohr. Von der feuchten Aussprache angewidert, ist man froh wenn man sich losreißen kann."

Werner stocherte mit seiner Gabel an den vertrockneten Essensresten herum und war nicht unbedingt in Diskutierlaune. Ich nahm mir vor, jetzt zum Ende zu kommen. 
Am Morgen nach ihren Saufgelagen beim Antreten: Die frische Farbe war aus den Gesichtern der Kapos verschwunden. Sie standen vor uns wie die Ölgötzen. Die Schikane-Gehirne lieferten kaum noch Daten, in der Gehirnhälfte herrschte das reinste Chaos, nichts passte mehr zusammen. Das Schlimmste, was passieren konnte, war eingetreten, die geordnete Reihenfolge war völlig durcheinander geraten. Die Befehlskette von 1 bis 104 war gerissen und wie eine Fahrradkette in einzelne Glieder zerfallen. So sehr sich die Kapos auch bemühten klare Gedanken zu fassen, es kam nur noch wirres Zeug aus ihnen heraus. Einige wussten nicht einmal mehr, wie sie hießen. Es folgten Befehle wie: "Links rum kehrt das Gewehr auf die Stuben, im Gleichschritt ohne Tritt hinlegen!" Oder „Fünfte Gruppe links und rechts um, dabei in volle Deckung und in die Betten ohne Tritt in Reihe aufstellen!" Wir machten dann irgend etwas und wurden auch dafür zusammengepfiffen.   

Sie schoben ihren Katerzustand auf das miese Wetter oder die zu engen Hosen der neuen Kampfanzüge aber dass sie heute Nacht erst um zwei Uhr sternhagelvoll ins Bett gefallen sind, davon war keine Rede. Der Hilfsausbilder Fritz stand schon vor unserer Gruppe und versuchte uns für Heinrichs in Linie aufzustellen. StUffz. Heinrichs stand vor der achten Gruppe und gab unverständliche Befehle bis ihn sein Saufkumpane, StUffz Hartmann, das war der mit den dreckigen Hemdkragen, wegjagte: "Geh zu deiner eigenen Gruppe!" Heinrichs kam in Schlangenlinie auf uns zu gestiefelt und schrie: "Wo ist Koschinski?" Ich sagte: "Krank." Heinrichs rauschte auf mich zu, so dicht, dass sich unsere Nasenspitzen beinahe berührten und brüllte: "Was haben Sie gesagt?" Angeekelt von seinem Gestank aus seinem Mund nach dem billigen Fusel vom Vortag, sagte ich "Krank!" Jetzt kam er richtig in Form, er schrie mich an: "Das heißt krank, Herr Stabsunteroffizier!" Mit einem Augenaufschlag wie Marilyn Monroe, sagte ich provozierend: "Ach so!" Nun war der Teufel los. Ich musste 10 Liegestützen und 20 Kniebeugen machen. Damals, in der Form meines Lebens, hatte das keine Bedeutung für mich, Nasenbohren wäre anstrengender gewesen. Meine Nachfrage, ob ich wegen der Liegestützen und den Kniebeugen nun vom heutigen Sport befreit sei, hatte zur Folge, dass ich dreimal um den Antreteplatz laufen mußte. 

Ich weiß nicht, warum aber Werner stand plötzlich auf, nahm sein Tablett und sagte nur kurz: "Du solltest ein Buch schreiben." Dann ging er drei Schritte und drehte sich noch einmal zu mir um bevor er weiter zur Geschirrabgabe ging und sagte die lobenden Worte: "Aber ganz normal bist du auch nicht!" Er war eben ein netter Kerl durch und durch.

Der Morgen danach....

Alles war wie immer, auch an diesem Morgen. In Hemer gingen unsere letzten Tage dahin und der Moment rückte näher, an dem wir zu unseren Stammeinheiten mussten. Es lag eine allgemeine Nervösität in der Luft. Außer mir, wußte keiner der Rekruten was auf ihn zukommtin in der neuen Einhait. 

Nur ich konnte mich schon eine Woche früher nach Unna absetzen und durfte mir im Kompaniegebäude bereits eine Stube und einen Spind aussuchen. Anhand einer Liste, wußte ich welche Stuben ganz frei waren  und welche zum Teil oder ganz von der Kompanie belegt war. Ich weiß heute nicht mehr, warum meine Wahl auf die Stube 43 fiel, aber im Nachhinein gesehen, war die Entscheidung goldrichtig. Vor dem Fenster lag der Sportplatz, also tagsüber keine Kasernenhofgebrüll. Statt der vier Betten, gab es nur zwei. Eines an der linken und eines an der rechten Wand. Ein Tisch und zwei Stühle. Der Raum wirkte durch die geringere Möbellierung viel größer als die anderen "Buden". Das Besondere jedoch, war der leere Blechspind vom Roten Kreuz. Die Schlüssel steckten noch und ich stellte fest, dass der Spind leer war. Die Schlüssel nahm ich erst mal an mich. Sicher ist sicher. Ich hatte da eine Idee in Richtung Natoalarm. Dazu später.  

Nachdem ich mein Quartier für die Zeit in der Stabskompanie der 7. Division gesichert hatte, meldete ich mich im Geschäftszimmer, gab meinen "Mietvertrag" ab und verlangte einen blanco Urlaubsantrag für die Zeit von Wehnachten bis Neujahr. Der Schreibstubenhengst sah mich an wie das siebente Weltwunder und schnauzte: "Bist du bekloppt, kaum hier und schon Urlaub?" Ich antwortete: "Nee, bekloppt bin ich nicht aber Urlaub möchte ich schon!" Was er dann vor sich her maulte, konnte ich nicht verstehen. Er trug mich in ein Buch ein und händigte mißmutig mir den Antrag aus. Auf dem Besuchertisch füllte ich den Schein aus und übergab ihn dem Schreibstubenhengst: "Da fehlt noch das Datum!" ranzte er mich wieder an. Ich trug das Datum ein und er war zufrieden. Brachhte den Antrag in das Zimmer des Kompaniefeldwebel und ich hörte wie der Spieß fragte: "Für wehn?

Nach 10 Minuten ging die Tür wieder auf und es trat ein Hauptmann wie aus dem Bilderbuch heraus. Hellgraue Uniform, leicht angegraute Naturwellen an den Schläfen, Silberlitzen und Silbersterne. Zu dem Zeitpunkt wußte ich noch nicht, dass er in der Kaserne "Der schönste Hauptmann der Division" genannt wurde. Freundlich begrüßte er mich: "Guten Tag Herr Gerstenköper, sie sind mein Neuer?" Ich klappte die Hacken zusammen und legte meine Hände an die Hosennaht: "Jawohl Herr Hauptmann!" Er legte seine rechte Hand auf meine linke Schulter und schaute mich väterlich an: "Nun mal ganz ruhig, Sie kommen gleich zu mir, wenn sie mit dem Hauptfeld fertig sind." Ich antwortete völlig unmilitärisch: "Mache ich." Der Hauptmann hatte keine Beanstandung und verabschiedete sich mit: "OK, bis gleich." Ich verspürte eine Glückseeligkeit, nicht wieder so ein Brüllaffe, nicht wieder so ein geistloser Schreihalz. Die Zeit in Unna wird sicher schnell und gut verlaufen bis ich wieder im Konstruktionsbüro der Warsteiner-Eisenwerke Geräte konstruieren konnte. Die Schinderei in Hemer war vergessen.  

Etwas Sorge bereitete mir mein Urlaubsschein. Ob der Spieß ihn wohl genehmigt. Wenn es dann wenigtstens über Weihnachten wäre, könnte ich mich damit abfinden. Mal sehen, wie es ausgeht. Kompaniefeldwebel (Spieß) Lothar Dublaski (Ostpreuße) schaute kurz ins Geschäftszimmer und rief mir zu: "Nehmen Sie Platz, ich bin gleich für Sie da." Er wies mich freundlich an, auf einem der drei Besucherstühle Platz zu nehmen. Eine derartige Freundlichkeit bei der Bundeswehr war ich absolut nicht gewohnt und gleich stieg in mir aufgrund der bösen Erfahrungen in Hemer, ein gewisser Argwohn auf, denn der Kompaniedienst und der Bürodienst waren zwei verschiedene Stiefel. 

Es dauerte nicht lange, da klingelte beim Hengst das Telefon  und er sagte nur: "Jawohl, Herr Hauptfeld!" Legte auf und sagte zu mir: "Du sollst reinkommen." Der Spieß begrüßte mich äußerst freundlich und bat mich Platz zu nehmen. Nachdem ich mir den mittleren der drei Stühle ausgesucht hatte, fragte mich der Spieß: "Sie kommen aus Warstein?" "Jawohl Herr Hauptfeldwebel!" Kurze Pause. "Mein Feldwebel Cramer kommt aus Suttrop, kennen Sie den?" Nachdem ich das bejat hatte, schob ich noch hinterher: "Bei uns wird er Tossy genannt, warum weiß ich nicht. Ist ein Freund meines Vaters." "Sie sind aber in Castrop geboren, kommt ihre auch aus Mutter Castrop?" "Sie ist dort aufgewachsen, geboren aber in Damrau, Ostpreußen." Er stand auf, hob beide Hände, so als ob er mich umarmen wollte: "Ich bin auch Ostpreuße, komme aus....... !" (habe den Ort vergessen)

'Ja, toll dachte ich, habe ich einen neuen Freund?' 

Nachdem ich gleich zu Anfang meiner Dienstzeit in Unna eine Möglichkeit gefunden hatte, wie ich jedes Wochenende einen Urlaubsschein bekommen konnte, galt es nur noch, das Transportproblem zu lösen, wie komme ich von Unna nach Warstein und wie komme ich von Warstein wieder zurück nach Unna? Ich zwei Kannidaten im Visier:

1. Hauptfeldwebel und unser Spieß: Lothar Dublaski
2. Feldwebel und Büroleiter: Tossy Cramer

Als Berufssoldaten hatten sie so ziemlich jedes Wochenende Urlaub und jeder nannte einen VW-Käfer sein Eigen ...und, fuhren sie beide in Richtung Warstein und zurück. Mein bevorzugter Kannidat auf Rang 1 hatte ich Tossy Cramer gesetzt und meine Reserve auf Platz 2 war Lothar Dublaski. Um nicht aufzufallen, da ich mehr Wochenendurlaub hatte als mir zustand, mußte ich einigermaßen regelmäßig den Fahrer wechseln. Während die Fahrten mit dem Spieß für mich, soweit es die deutsche Geschichte und das Leben in Ostpreußen betraf sehr lehrreich und interessant waren, ging es bei Tossy eher langweilig zu. Die Autobahn A44 gab es damals noch nicht und wir mußten die B1 fahren. Tossy nahm seinen Kumpel Unteroffizier Aschhoff mit. Vom Rücksitz des Käfers aus, konnte ich nicht an den massiven Köpfen und speckigen Nacken nicht vorbei sehen. Außerdem trugen beide immer ihre großen Ausgehmützen. Erst kurz vor Ampen stieg Unteroffizier Aschhoff aus und ich durfte auf dem angewärmten und durchgesessenen Beifahrersitz Platz nehmen. Einmal hatten wir einen Plattfuß kurz vor Werl und beide standen da wie Ölgötzen. Nachdem wir ausgestiegen waren und den Plattfuß vorne links bewunderten, stellte Tossy die bemerkenswerte Frage: "Was nun?" Er hatte tatsäächlich keine Ahnung, wie man nun das platte Rad gegen das Reserverad umtauschen mußte. Aber, er wusste, wo sich sein Reserverad und der Wagenheber befanden. Ich hatte meinem Vater schon mit 12 Jahren beim Reifenwechseln geholfen und deshalb konnten wir nach einer Viertelstunde weiterfahren. 

Beim Spieß hatte ich das Gefühl, dass er mich, als Viertelostpreuße sehr gerne mitnahm. Ich war bemüht, ein guter Zuhörer zu sein und er gab besonders gerne mit seinem umfangreichen Wissen über die deutsche und europäische Geschichte an. Außerdem war sein Lieblingsthema: Napoleon und dessen Einfluss auf Deutschland. Wenn er bis Erwitte mit seinen Referaten nicht fertig war, bot er sehr oft an, bis Warstein zu fahren um vielleicht noch einen Kaffee bei meiner Mutter zu trinken und über Ostpreußen zu reden.   

Wenn das mal  nicht klappte, stieg ich in Erwitte aus und fuhr die letzten  20 Kilometer per Anhalter nach Suttrop. Dafür ließ ich natürlich meine ungeliebte Uniform an, weil die meißten männlichen Autofahrer im letzte Krieg gedient hatten und neugierig waren ob es noch genau so hart zuging wie im Dritten Reich. Gleichzeitig gaben sie mit ihren Heldentaten aus der Kriegszeit an. Deshalb dauerte es höchsten 10 Minuten, dann saß ich schon im Auto eines Fremden und war unterwegs nach Warstein. 

Natürlich kam es auch mal vor, dass der Spieß zu einem Lehrgang mußte oder Urlaub hatte und in diesem Fall sprang mein Ersatzfahrer Tossy ein. In diesen Fällen mußte ich auf dem Rücksitz Platz nehmen. Aus meiner Sich bot sich ein Anblick, den ich bis heute nicht vergessen habe. Zwei gleichgoße und gleich wohlgenärte Feldwebelnacken und jeweils einer Schirmmütze darauf, war schon etwas sehr spezielles.

Der Besuch beim Kompaniechef zog sich hin. Als nach einer halben Stunde die Bürotür des Kompaniechefs aufging und zwei Hauptleute herauskamen, sprang der Spieß auf: "Hauptmann Bieg." Wobei er den größeren Hauptmann ansprach "Das ist der Rekrut Gerstenköper für Herrn Hauptmann Schulze." Der nettere der beiden Hauptleute gab mir die Hand und sagte: "Dann kommen sie gleich mal mit mir!"

Ich wollte eigentlich nur meinen Urlaubsschein unterschrieben haben, aber nun war ich in einer unglücklichen Situation. Ich konnte doch nicht jetzt danach fragen. Der Spieß rettete mich aus der prekären Situation und rief mir hinterher: "Wegen ihres Urlaubsscheines kommen sie gleich noch zu mir!" Ich war gerettet.

Mit Hauptmann Schulze ging ich rüber zum Divisionsgebäude, in dem bis zum Generalstab die gesamte Divisionsverwaltung untergebracht war. Hier arbeitetet Soldaten und Zivilisten (Frauen und Männer) zusammen. Dementsprechend herrsche hier auch eher ein normales Arbeitsklima. Hauptmann Schulze stellte mir Oberfeldwebel Orlich vor, der seinen rechten Arm in Gips trug, weil er auf einem Barhocker eingeschlafen war. Sachen gibt es. Die wehrpflichtigen Soldaten machten auch einen ganz entspannten Eindruck. Mir fiel auf, dass alle Jungs 1,70 m groß waren und ich hatte das "Gardemaß" von 1,80 m. Wenn ich später mit den Jungs zum Essen ging, machten einige Soldaten dumme Bemerkungen. "Führst du deine Kinder mal wieder aus?"  

Das Gespräch mit Hauptmann Schulze dauerte 2 Stunden. Er leitete die Kartenstelle und war verantwortlich, dass bei Manövern die beteiligten Einheiten mit Kartenmaterial versorgt wurden. Er hätte für mich bei Bertelsmann in Gütersloh in der Kartenherstellung eine Platz für 4 Wochen klargemacht, damit ich später als "Divisions-Gefechtszeichner" bei Manövern die aktuellen Kampflagen zu Papier bringen konnte. 

Ich hatte die Fahrschulzeit in Unna auch dazu genutzt, mir den Laden einmal gründlich anzusehen und mir eine Abteilung auszugucken, die verwandt war mit meiner Ausbildung als Technischer Zeichner. Im Auftrag von unseres Kompaniechefs Baumann in Hemer, sollte ich wegen einer Rolle Malkarton und diverser Plakatfarben bei einem Hauptmann Schulze des DivTop des Divisions-Topografen sollte vorstellig werden. Hauptfeldwebel Dublaski beschrieb mir den Weg zum Div.Top. Da ich niemals im Leben vor den s.g. Respektspersonen besondere Ehrfurcht entgegenbrachte, schlenderte ich in lockerer Haltung zum Stabsgebäude, beide Hände in den Taschen und schon passierte es. Ein alter Stabsfeldwebel mit sehr vielen Orden und einem Edelweiß an der Mütze, also ein Gebirgsjäger aus Bayern kreuzte meinen Weg. Er fragte mich: "San Sie no gsund?" Ich wollte gerade bejahen, da legte er los, mit einer Stimme wie Donnerhall in den bayrischen Bergen: "Jo, do leck mi doch oana am Oasch! Laffd da Kerl herum, ois ob ea auf am Stachus spaziern gäd! San sie bläd?" Für alles Andere, was er dann von sich gab, war ich nicht mehr aufnahmefähig. Nie zu vor bin ich in der Dienstzeit derartig zusammengeschissen worden wie von diesem Bayer. Ich bevorzugte jetzt stramme Haltung, um ihn etwas zu besänftigen und milder zu stimmen. Als er fertig war, sagte er noch in einer völligen anderen Tonlage, beinahe väterlich: "Sie soidn moi zum Frisör gengan!" Ein Auto fuhr vor, er stieg ein und weg war er. Es kam mir vor, als hätte ich noch eine Stunde in strammer Haltung da gestanden. Ein Gefreiter lief an mir vorbei und fragte: "Iss was?" So langsam fand ich zurück ins normale Leben. Das Auto mit dem Stabsfeldwebel fuhr durchs Haupttor auf die Iserlohner Straße und weg war er. Ich dachte darüber nach, ob ich meine Einstellung zu Respektspersonen noch einmal gründlich überdenken sollte. 
  
Im Stabsgebäude grüßte ich für heute erst einmal jeden, der nach einem Vorgesetzten aussah. Aber es liefen auch sehr viele Zivilangestellte mit Akten unter den Armen herum oder standen in Grüppchen auf den Fluren herum und unterhielten sich über dienstliche sowie private Themen. Das gefiel mir, das war ja wie bei den Warsteiner-Eisenwerken, meinem Brötchengeber." Ich verspürten schon soetwas wie ein anheimeldes Gefühl. Hier werde ich es aushalten können, sind ja nur noch neun Monate. Bei einem Gemisch von Zivilisten und Soldaten, kann es nicht so schlimm werden wie in Hemer.

Dass ich nach Unna zur Stabskompanie in die Abteilung von Hauptmann Schulze, des Divisions-Topografen (DivTop) versetzt wurde, war mein Glück. Während der Fahrschule lernte ich ihn kennen, als er gerade von einer Fahrt aus der Lüneburger Heide zurückkam und mir stolz über seine Arbeit erzählte. Er hatte in Zusammenarbeit mit den Landes-Vermessungsämter kontrolliert, ob die Triangulationspunkte (TP-Punkte) noch dort standen, wo sie laut Eintragung in den Karten stehen mussten. Außerdem erfuhr ich, dass er aus Berlin stammte und sein Vater ein sehr großes Taxiunternehmen hatte. Nun wohnte er in Unna, war gechieden und nun frisch verheiratet mit einer 20 Jahre jüngeren Frau und vor 6 Monaten ist er Vater einer Tochter geworden. Er war freundlich und menschlich, was wir in Hemer so vermissten. Hauptmann Schulze befahl nicht, sondern wenn er mir Aufgaben übertrug, war ich immer davon überzeugt, dass ich mit einem angenehmen Kollegen zusammen arbeite. 

In unserer Grupen war Unruhe eingekehrt, was wird aus uns, fängt das Ganze Dilema wieder von vorne an? Wieder Spind einräumen, verlegen auf die neuen Kameraden sehen. Sympathie, ja oder nein? Ich hatte das Thema angesprochen, wir trafen uns in der Kantine um 19:00 Uhr. "Sechs Bier und eine Cola." bestellte ich die erste Runde. Außerdem war ich der Einzige, der am Monatsende noch Geld hatte, weil ich Nichtraucher war. Bereits Mitte des Monats ging die Anpumperei der Raucher los: "Haste mal ne Mark für mich? Bekommse am Zahltag wieder!" Gab man dem Raucher das Geld, war es weg. 

Das Versprechen . Die Jungs hatten sich daran gewöhnt, dass ich keinen Alkohol trank. Gelästert wurde trotzdem: "Wer noch keinen Bart hat, darf auch noch kein Bier trinken!" In der Tat, bei mir war absolut noch kein Bartwuchs festzustellen. Hatte einen großen Vorteil, ich konnte morgens eine Viertelstunde länger liegen bleiben. Erst ab meinem 24. Lebensjahr lieh ich mir hin und wieder von meinem Vater einen Rasierapparat. 

Ich sagte: "Hört auf zu lästern, davon wächst der Bart auch nicht schneller, lasst uns lieber über unser die Zukunft beim Barras reden." Ich berichtete, über meinen Aussichten in Unna und dass ich sogar schon in meinem zukünftigen Büro an meinem Schreibtisch gesessen habe.

Peter Grabs: Bochum, Kanonenstraße. Er wollte unbedingt zu den Fernmeldern. Ich sah in später in Unna mit gelbem Spiegeln und war von dem Haufen (wir nannten sie Kabelaffen), dass er nach seiner Wehrdienstzeit jedes Jahr zwei Wochen an Manövern teilnahm und irgendwann auch Oberfeldwebel war. Wir haben nach der Bundeswehr einige Male telefoniert, aber er pflegt seine Mutter und hatte wenig Zeit. Ein weiterer Versuch, ihn zu treffen, scheiterte daran, dass er inzwischen verstorben war. 

Werner Döring: Nach meiner Information kam nach Ahlen bei der Instandsetzung. 2003 habe ich ihn einmal angerufen und erfahren, dass er als Gutachter im Auftrag der Industrie- und Handelskammer als Prüfer. Er wohnte in Hamm. 

Günther Eickmann: War bei der Firma Schmöle angestellt. Leider machte er sich und uns das Leben oft schwer. Er wohnte nebenan in Menden und hatte eine feste Freundin. Er ließ keine Gelegenheit aus, sie zu besuchen. Obwohl wir in der Grundausbildung nur an ganz wenigen Tagen in Uniform für einige Stunden raus durften, schaffte er es beinahe wöchentlich einmal sie zu besuchen. An die festen Zeitvorgaben seiner Rückkehr hielte er sich ganz selten und brachte sich und uns in Schwierigkeiten. Einmal in der Woche war Gewehrreinigen von 18:00 bis 19:00 Uhr angesagt. Nach dieser Stunde fand die Überprüfung durch die Kapos statt. Meist trudelte Günther um 18:59 Uhr ein. Natürlich hatten wir auch immer sein Gewehr mit gesäubert. Auch er war für die Stabskompanien in Unna vorgesehen. Er kam schließlich auf das Geschäftszimmer des G1. Die Büroleiter waren die Herren OFW Wonnefeld und Stuffz Herdehuneke. Gehörte auch später zu unserem engeren Kreis. Er heiratete auch seine Freundin aus Menden. Durch seine häufigen Rendezvous brachte er unsere Stubenbelegschaft oft in heikle Situationen.  

Leo Hoffmann: Er sollte ebenfalls nach Ahlen abkommandiert sein aber die Spur verlor sich dann im Sande. 2020 habe ich zu seiner Frau Kontakt aufgenommen. Leo ist leider in einem bedauernswerten Zustand, er kann sich nicht einmal daran erinnern, dass er jemals bei der Bundeswehr war. Armer Kerl.

Kalle Beerwerth: Kam aus Soest und meldete mit 17 Jahren freiwillig zur Bundeswehr. Er hatte unter der Willkür von Heinrichs und den anderen Ausbildern sehr zu leiden. Von einem Siebzehnjährigen ging wenig Widerstand aus und sie schikanierten ihn, versuchten ihn lächerlich zu machen, wo es eben nur ging. 1965 wurde ich noch einmal zu einer Wehrübung eingezogen zum Feldartilleriebataillon 71 - Lipperland Kaserne in Lippstadt. Ich bekam wieder eine komplette Ausrüstung verpasst aber dieses Mal verlief die Einkleidung in aller Ruhe ab. Der Oberfeldwebel, der mich einkleidete, war der Leiter der Kleiderkamm, es war Kalle Beerwerth. Mittlerweile zum stattlichen Hauptfeldwebel befördert. Ich habe mich sehr gefreut über seine jetzige Situation bei der Bundeswehr. 

Unsere Vorgesetzten .... 
Die Stuben gaben uns eine gewisse Geborgenheit. Dass wir aber letztlich vor den Gemeinheiten der Ausbilder nicht sicher waren, bekamen wir ja in den ersten Wochen zu spüren. Größtenteils waren die Ausbilder bereits Soldaten in der Nazi-Armee und waren geschult darin, Menschen psychisch klein zuhalten. Als noch brauchbare Restbestände der Nazi-Ära wurden sie von der Bundeswehr übernommen. Das hatte zur Folge, dass die deutschen Offiziere und Unteroffiziere gegenüber dem NATO-Schnitt waren, genau wie ihre Gesinnung hoffnungslos überaltert. Obwohl man die übernommenen Soldaten um einen Dienstgrad höher einstellte, führte das nicht annähernd zu den gewünschten Ergebnissen.

Altherrenrunde...  
Hauptleute             bis 40 Jahre - Nato bis 28 Jahre + 12 Jahre
Majore                     bis 46 Jahre - Nato bis 32 Jahre + 14 Jahre
Oberstleutnante    bis 50 Jahre - Nato bis 35 Jahre + 15 Jahre
Oberste                    bis 52 Jahre - Nato bis 40 Jahre + 8 Jahre
Generäle                  bis 60 Jahre - Nato bis 50 Jahre + 12 Jahre 

Dann gab es auch noch über 2.000 Offiziere, die 1945 aus dem Unteroffiziersstand zu Offizieren ernannt wurden. Die eine ganz andere Sichtweise hatten als die von der Bundeswehr ausgebildeten jungen Offiziere, außerdem waren viele ungeeignete Lehrer, denn für sie lagen bis 1945 völlig andere Prinzipien zugrunde. Teilweise wurde der neue, vorgegebene disziplinarische Umgang mit dem “Staatsbürger in Uniform“ von ihnen diese Disharmonie bekamen wir zu spüren.

Ich konnte mich schon eine Woche früher nach Unna absetzen und durfte mir im Kompaniegebäude, eine Stube und einen Spind aussuchen. Ich weiß heute nicht mehr, warum meine Wahl auf die Stube 43 fiel, aber im Nachhinein gesehen, war die Entscheidung goldrichtig. Nachdem ich mein Quartier für Zeit in der Stabskompanie der 7. Division gesichert hatte, meldete ich mich im Geschäftszimmer, um meinen Urlaubsantrag für die Zeit über Weihnachten und Neujahr unterschreiben zu lassen. Kompaniefeldwebel (Spieß) Lothar Dublaski (Ostpreuße) empfing sehr freundlich und bat mich noch etwas zu warten, weil der Hauptmann noch Besuch habe. Er bat mich, auf einem der Besucherstühle Platz zu nehmen. Eine derartige Freundlichkeit bei der Bundeswehr war ich absolut nicht gewohnt und gleich stieg in mir aufgrund der Erfahrungen in Hemer, ein gewisser Argwohn auf. Nachdem ich mir den mittleren der 3 Stühle ausgesucht hatte, fragte mich der Spieß: "Sie kommen aus Warstein?" Klar, konnte ich nur bejahen. "Mein Feldwebel Cramer kommt aus Suttrop, kennen Sie den?" Nachdem ich das bejat hatte, schob ich noch hinterher: "Bei uns wird er Tossy genannt, warum weiß ich nicht. Ist ein Freund von meinem Vater."  "Sie sind in Castrop geboren, kommt ihre Mutter aus Castrop?" "Sie ist dort aufgewachsen, geboren aber in Damrau, Ostpreußen."  Er stand auf, hob beide Hände, so als ob er mich umarmen wollte: "Ich bin auch Ostpreuße!"


Ja, toll! Ich hatte einen neuen Freund.


Nachdem ich eine Möglichkeit gefunden hatte, wie man beim Bund beinahe jedes Wochenende Urlaub bekommt, nahm mich der Spieß in seinem VW Käfer immer mit. bis Erwitte. Wenn er besonders gut drauf war und das Bedürfnis hatte, sich mit meiner Mutter über Ostpreußen zu unterhalten, dann macht er auch mal den Umweg über Warstein. Mein Ersatzfahrer war Tossy, da kam ich immer direkt bis vor die Haustür.


Der Besuch beim Kompaniechef ließ sich Zeit. Als nach einer halben Stunde Die Bürotür des Kompaniechefs aufging und zwei Hauptleute herauskamen, sprang der Spieß auf: "Hauptmann Bieg." Wobei er den größeren Hauptmann ansprach "Das ist der Rekrut Gerstenköper für Herrn Hauptmann Schulze." Der nettere der beiden Hauptleute gab mir die Hand und sagte: "Dann kommen sie gleich mal zu mir!"


Ich wollte eigentlich nur meinen Urlaubsschein unterschrieben haben, aber ich war in einer unglücklichen Situation. Ich konnte jetzt nicht danach fragen. Der Spieß rettete mich aus der prekären Situation und rief mir hinterher: "Wegen ihres Urlaubsscheines kommen sie gleich noch zu mir!" Ich war gerettet.


Mit Hauptmann Schulze ging ich rüber zum Divisionsgebäude, in dem bis zum Generalstab die gesamte Divisionsverwaltung untergebracht war. Hier arbeitetet Soldaten und Zivilisten (Frauen und Männer) zusammen. Dementsprechend herrsche hier auch eher ein normales Arbeitsklima. Hauptmann Schulze stellte mir Oberfeldwebel Orlich vor, der seinen rechten Arm in Gips trug, weil er auf einem Barhocker eingeschlafen war. Sachen gibt es. Die wehrpflichtigen Soldaten machten auch einen ganz entspannten Eindruck. Mir fiel auf, dass alle Jungs 1,70 m groß waren und hatte das "Gardemaß" von 1,80 m. Wenn ich später mit den Jungs zum Essen ging, machten einige Soldaten dumme Bemerkungen. "Führst du deine Kinder mal wieder aus?" 


Das Gespräch mit Hauptmann Schulze dauerte 2 Stunden. Er leitete die s.g. Kartenstelle und war verantwortlich, dass bei Manövern die beteiligten Einheiten mit Kartenmaterial versorgt wurden. Er hätte für mich bei Bertelsmann in Gütersloh in der Kartenherstellung eine Platz für 4 Wochen klargemacht, damit ich später als "Divisions-Gefechtszeichner" bei Manövern die aktuellen Kampflagen zu Papier bringen konnte.





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